Buchbesprechung
Hans Küng, Klaus M. Leisinger, Josef Wieland:
Manifest Globales Wirtschaftsethos / Manifesto Global Economic Ethic [sic]
Konsequenzen und Herausforderungen für die
Weltwirtschaft (dtv)
Halbbackenes Kochbuch
Man stelle sich ein Kochbuch vor, das von einer prestigeträchtigen, der UNO nahestehenden Organisation herausgegeben und angeblich von Lebensmittelexperten geschrieben wurde. Das kauft man sich gutgläubig für rund zehn Euro und bekommt dafür die vermeintlich universellen Hilfestellungen gleich zweisprachig, Deutsch und Englisch.
Man stellt fest, es werden in den Beiträgen und den einzelnen Sätzen so gut wie alle gängigen
Grundlebensmittel erwähnt, so Mehl & Eier, Milch & Reis, Gemüse & Obst, Bohnen und dergleichen mehr, und nicht zuletzt kommen, wenn auch ohne weitere Präzisierung, Wasser und Wärmezuführung zu Wort. Zudem wird erzürnt gegen den Hunger gewettert. Da bekommt man allmählich Appetit.
Irgendwie ist die Lektüre keineswegs sättigend, und man fragt sich warum. Gut, vom Lesen allein wird der Magen auch nicht voll. Da hat man allerdings die verschiedenen Zutaten doch schon beisammen und möchte loslegen. Man liest im UNO-Kochbuch pflichtgemäß, dass die Zutaten konsistent aufeinander abzustimmen sind.
Es fehlt aber etwas. Was kann das bloß sein?
So werden im vorliegenden Buch zur Ethik die Tugenden zur Genüge erwähnt, die "Selbststeuerung durch Selbstverpflichtung und Selbstbindung" (!) (S.
115), der Charakter und die Haltung, Prinzipien und Werte (z.B. S. 91), und viel dergleichen mehr und zwar immer wieder.
So sollen beispielsweise die "Integrität, Fairness, Ehrlichkeit, Vertragstreue, Verantwortung,
Aufrichtigkeit, Toleranz, Gerechtigkeit, und Solidarität" (moralische Werte); "Loyalität, Teamgeist, Konfliktfähigkeit, Offenheit, Kommunikationsorientierung,
Fairness (nochmal!) und Partnerschaft"
(Kooperationswerte); "Nutzen, Kompetenz,
Leistungsbereitschaft, Flexibilität, Kreativität,
Innovationsorientierung, und Qualität"
(Leistungswerte); und "Achtung, Zugehörigkeit,
Offenheit (!), Transparenz, Verständigung und
Risikobereitschaft" (Kommunikationswerte) "konsistent aufeinander abgestimmt" werden. (S. 115 und 117, und ausführlicher als "Werteviereck" S. 105)
Man stelle sich vor, man fände diese Wörter ("Werte") einzeln auf Spielkarten mit bunten Bildern vor, von professionellen Designern entworfen, versteht sich, denn Image ist heute alles. Die Spielkarten werden unter die Gesellschaft verteilt. Jetzt will man mit dem Spiel loslegen. Es fehlt aber etwas. Was kann das bloß sein?
Eine Anleitung etwa?
Die Autoren—insbesondere der "Ethikexperte" Wieland—haben es fertiggebracht, ein Buch zu verfassen, das so gut wie nichts enthält. Das heißt, ein Buch, das so gut wie nichts enthält, dem man an und für sich würde widersprechen können. Wenn doch, so wird die Aussage an anderer Stelle soweit qualifiziert, dass die Autoren sich doch nicht festgelegt haben und somit sich aus der Affäre reden können. So erreicht man Konsens, eckt bei niemandem an, bleibt allgemein. Und noch ein Vorteil dieses Ansatzes besteht darin, dass sogar jeder Schurke ihn mit unterzeichnen müsste, denn auch unter Dieben gibt es einen Ehrenkodex, gerade dort braucht man unumstritten ein wenig Verlass und Gegenseitigkeit ganz im Sinne einer maßgeschneiderten Goldenen
Regel.
Ein Kochbuch ohne Angaben zu Mengenverhältnissen,
Kochzeiten und Kochtemperaturen? Ohne Hinweise zu Schälen, Mischart, Kleinteilung, sonstiger Vorbereitung?
Ohne den Geschmackssinn zu beschwören?
Man stelle sich vor, man habe nun die Bohnen nach eigenem Gutdünken roh verspeist, denn weitere Angaben hat das Buch ja nicht enthalten, nur die zeitgemäße Empfehlung noch, man solle das böse tierische Fleisch vermeiden und als Protein lieber Hülsenfrüchte wählen, die ja werthaltiger – wertvoller – sind. (Und auf Werte kommt es ja an...)
Die naturbelassenen Bohnen gehen aber schlimm auf den Magen, denn ungekocht sind sie wie nicht ausgereift. Und – siehe da – manche, die bei der Gesellschaft dabei sind, vertragen nicht einmal den Milchreis, denn die Menschen – o wehe – sind doch nicht alle gleich. Des Einen Fleisch ist zuweilen des Anderen Gift.
Das besprochene Buch vermeidet systematisch (obwohl darin viel von "System" geredet wird!) jegliche Präzisierung der Problematik. Es wird auch nichts definiert, obwohl Erläuterungen erforderlich wären, um gravierende Missverständnisse zu vermeiden. So müsste unbedingt stehen, was denn genau unter Ethik bzw. Moral verstanden wird bzw. wie diese sich zu Gesetz, Menschenrechten und Sitte verhalten. Wo passt Gerechtigkeit ins Bild? Wozu wird das Wort Fairness verwendet? Als Beruhigungsmittel?
Es fehlt aber allerlei mehr. So gibt es herausragende
Aspekte des Geschäftslebens und der
Verhandlungssituation, die bei jeder ethischen Analyse zwingend berücksichtigt werden müssen, hier aber ganz und gar verschwiegen werden. Dazu gehören:
Die Informations-Asymmetrie:
- Verhandlungsbeteiligte haben meistens Zugang zu verschiedenen Informationen, die sie ungerne mitteilen und sich auch beim besten Willen schlecht kommunizieren lassen, z.B. weil sie der Schweigepflicht unterliegen oder man über
Expertenwissen verfügen müsste, um sie richtig zu erfassen.
-
Die Grenzen der Messbarkeit: Die gängigen
Kriterien, um den Wert oder Aufwand einer Leistung zu messen und somit preislich abzubilden, lassen wesentliche Faktoren ganz oder weitgehend außer Acht, weil diese sich nur grob – wenn überhaupt – messen lassen.
- Die eigentlichen Absichten der
Verhandlungsbeteiligten sind öfters nicht einmal diesen ganz bewusst, und richtig mitteilen will man sie ohnehin ungern. Man denke an das Bestehen verschiedener Absichten innerhalb eines Verhandlungsteams, an die größere oder kleinere Wahrscheinlichkeit, dass sich die Absichten ändern, und an die sonstige Subjektivität und unterschiedliche Festigkeit der Absichten.
- Die praktische Schwierigkeit, den Aufwand einer Leistung im Voraus zu schätzen: Man weiß erst bei Fertigstellung, wie viele Stunden, Kosten, Fachwissen usw. für die Aufgabe erforderlich waren; und auch dann weiß man es womöglich nur sehr ungenau.
Es handelt sich insgesamt um Unwägbarkeiten, die vom Geschäftsleben nicht wegzudenken sind. Spricht man sie ausdrücklich an, so kann man – je nach Charakter und Erfahrungsgrad des Gegenübers – arg missverstanden werden, denn die Offenheit wird dann als Schwäche oder sogar als Täuschungsmanöver gedeutet (d.h. die Offenheit, die im vorliegenden Buch unproblematisch als "Wert" dargeboten wird).
Hinzu kommen unterschiedliche und teils entgegengesetzte Denkweisen zum Zuge, so z.B.
- das Handeln nach dem Gesetz des Angebots und der Nachfrage, wobei man diese meistens kaum richtig kennen kann;
- das Handeln nach dem Kostenprinzip;
- das Handeln nach dem Nutzenprinzip;
- das Abwarten auf eine bessere Alternative (und somit die Berücksichtigung der
Opportunitätskosten)
- der Wunsch, etwa bei der Preispolitik bestimmte langfristig wirkende Signale auszusenden
Erst vor diesem Hintergrund kann man z.B. die Risikobereitschaft (bzw. das Abwälzen von Risiken) ethisch einschätzen. Unvermeidbar spielt immer wieder die Macht mit, und somit auch womöglich der Machtmissbrauch und der Widerstand dieser Macht gegenüber. Man frage nach dem Adressaten des in diesem Buch erhobenen Zeigefingers. Werden nicht hier die Menschen, die ohnehin im Großen und Ganzen anständig sind, noch einmal aufgerufen, sich gehorsam klein zu geben? Oder werden etwa Mechanismen vorgeschlagen, wie die Rücksichtslosen (systematisch dann wohl) aus dem Verkehr gezogen werden? Nein, auf diesen nahestehenden Rückschluss sind die Advokaten der Goldenen Regel und der Friedfertigkeit nicht gekommen...
Das Wort Offenheit wird wiederholt verwendet: Der Leser mag anzweifeln, wie weit in der Praxis der Autoren diese geht. So mögen Professor Wieland (man dürfte ihn als Leitautor bezeichnen), sein Zentrum für Wirtschaftsethik und sein WerteManagementSystemWMS auf diese vielen Fragen bei ihrer—wohl kostpflichtigen—Unternehmensberatung und ihren "Audits" befriedigend eingehen. Man darf es aber bezweifeln, wie auch beim Gebrauchtwagenhändler, der die prächtige Karosse nicht zur Probefahrt freigibt, Zweifel aufkommen mögen, ob auch ein Motor unter der Haube steckt.
Es wird durchgängig unterstellt, dass die "Ethik" von oben durchzusetzen ist, unter Mitwirkung des fraglichen Institutes (Alternativen bzw. Konkurrenten werden ja nicht benannt): Der Verdachtsmoment, dass sich das ethische Versagen systematisch auf die Hierarchien und die fehlende moralische Reife der Führungsklasse zurückführen lässt—und vielleicht sogar überhaupt auf die Globalisierung,—wird verschwiegen. Somit fällt das Buch erneut dadurch auf, was es alles nicht enthält aber unbedingt enthalten müsste.
Dafür, dass die Autoren es sich leicht machen, erhält der Leser ein recht unbekömmliches Konvolut: "der Leser" in der Einzahl, denn der Rezensent kann sich kaum vorstellen, es würde—außer der Übersetzer—sonst jemand das Buch tatsächlich zu Ende lesen. Der Schreibstil—wenig mehr als eine Aneinanderreihung von Schlagworten—macht die Lektüre so unverdaulich wie ungekochte Bohnen.
Übrigens: Gehört es sich eigentlich, dass Wieland ein
Buch verkaufen lässt, das vordergründig das UN Global Compact Manifest wiedergibt und erläutert, dann aber massiv Werbung für die fragwürdigen Leistungen seines Institutes beinhaltet?
Könnte es sein, dass der eigentliche Grund für die
Problemen ausweichende Gestaltung dieser
"Grundlagen, Ziele und Umsetzungsmöglichkeiten" im Ur-Unvermögen der Autoren liegt, kritisch zu denken und eine—philosophisch, theoretisch halbwegs ausgereifte—auch zeitgemäße—Hilfestellung auf die Beine zu stellen? Es handelt sich allerdings um Professoren, die über Intelligenz, Wissen und—bei Leisinger zumindest—Erfahrung in den oberen Etagen der Wirtschaft verfügen müssten. Könnte es sein, dass sie diesen möglichst ungünstigen Ansatz mit "Werten" bewusst gewählt haben, um die eigentliche Problematik zu verschleiern und somit ihre Dienstleistungen den "Topmanagern" schmackhaft zu machen und sich selbst nebenbei zu profilieren? Wie steht es mit deren Konfliktfähigkeit in der Sache (S. 105 u.a.)? Oder haben sie etwa vor, eine heimliche Revolution von innen zu starten? Man schaue bitte auf deren Lebensweg!
Freilich sind sie nicht die einzigen, die das Pferd vom falschen Ende aufzäumen.
Ein Wort des Rates ist angebracht: Wo immer große abstrakte Worte gebraucht werden, soll man auf der Hut sein. Diese decken die Widersprüche und Probleme meistens nur zu, und dann wundert man sich, dass sich doch nicht alles reimt. Das vorhandene Buch ist eine ebensolche Ansammlung von ehrwürdigen Worten, letztlich von Gemeinplätzen, die zuerst aufputschen, dann aber ... platzen.
----------------------------------
|
|
|